Wir leben im sogenannten Kommunikationszeitalter. Aber wie und was kommunizieren wir?

Vor einigen Wochen telefonierte ich mit einer Bekannten, die ich lange nicht mehr gesprochen hatte. Sie redete ca 15 Minuten ohne Punkt und Komma (es war auch wirklich interessant), ich machte immer wieder Versuche etwas einzubringen. Zwecklos (und letztlich auch nicht notwendig). Dann sagte sie, „Oh, ich muss jetzt Schluss machen. Danke für das gute Gespräch“. Ich hatte nichts gesagt.

Einer meiner Nachbarn erzählte einmal, dass er in Paris einen bekannten Schauspieler in einem Café sitzen sah. Als er den Mann ansprach wurde er freundlich eingeladen, Platz zu nehmen. Mein Bekannter ließ daraufhin eine Redetirade auf ihn ab. Den Bericht über dieses Zusammentreffen schloss er mit der Erkenntnis: „Jetzt begegne ich so einem interessanten Menschen und dann rede nur ich, anstatt mir anzuhören, was er zu sagen hat.“ Genutzt hat diese momentane Erhellung nichts, denn er gehört immer noch zu den Leuten, die automatisch von sich reden, ohne irgendein Interesse an dem anderen zu signalisieren.

Eine Variante dieses Beispiels: Es gibt Leute, die reden so viel, dass das resignierte Gegenüber völlig erschöpft in dauerhaftes Schweigen verfällt. Dies ist für den Redebedürftigen Anlass zu glauben, dass der „Gesprächspartner“ gebannt von ihren Worten ist und reden noch mehr.

Wie das erste Beispiel zeigt, erscheinen Menschen, die zuhören als besonders sympathisch, ja, und ohne dass sie überhaupt etwas Entscheidendes zum Gespräch beitragen, als kompetent und hilfreich. In der Tat sind sie letzteres auch. Denn in der Regel ist ein offenes Ohr und darüber hinaus noch empathisches Zuhören mehr wert als ein wohl gemeinter Rat. Das große Herz ist es, was andere Menschen anzieht und sich sicher und gut fühlen lässt. Wenn jemand zuhören kann und dem anderen den Raum lässt sich mitzuteilen, ohne den Zwang zu spüren, das Gespräch auf sich selbst zu lenken oder Meinungen zu präsentieren, dann ist das Ausdruck achtungsvoller Zugewandtheit. Man kann sich glücklich schätzen, solchen Menschen zu begegnen oder sie zu den eigenen Freunden zu zählen.

Während ich das schreibe erreicht mich der Anruf einer Freundin: Sie beklagt, dass eine Bekannte von ihr regelmäßig das Thema wechselt, wenn sie von dem erzählt, was ihr am Herzen liegt und natürlich auf ein Feedback wartet.

Es ist wenig höflich, wenig respektvoll und wenig bewusst in einem Gespräch nur darauf zu lauern, eigenes unterzubringen, geschweige denn nur von sich selbst zu sprechen oder gar das Thema zu ändern, wenn jemand Persönliches preisgegeben hat. Aber so kommunizieren wir oft. Es ist wie ein Druck unbedingt etwas von sich sagen zu müssen oder eine Angst, zu kurz zu kommen. Und manchmal ist es einfach Desinteresse an dem anderen. Wir selbst stellen uns in den Brennpunkt, in der Regel lieben wir es, wenn sich die Dinge um uns drehen – auch wenn wir es nicht so sehen möchten. Die meisten Menschen interessieren sich am meisten für sich selbst. Also reden sie von sich. Als bewusste Vertreter unserer Spezies möchten wir unseren Kommunikationsstil zumindest beobachten. Wenn wir etwas an unserem eigenen Verhalten ändern wollen, langt darüber hinaus eine klare Entscheidung.

Beobachte dich:

  • Wie lange erzählst du, ohne den anderen zu Wort kommen zu lassen?
  • Wartest du darauf endlich wieder „dran“ zu sein?
  • Fällst du ins Wort?
  • Hast du gehört, was der andere gesagt hat?
  • Hast du es verstanden?
  • Interessiert es dich?
  • Bist du bereit zuzuhören, auch wenn dich das Thema nicht interessiert, du aber merkst, dass es für dein Gegenüber wichtig ist?
  • Glaubst du zu wissen, was dein Gesprächspartner meint, auch wenn du ihn nicht ausreden lässt?
  • Wendest du deinem Gegenüber deine Aufmerksamkeit zu?
  • Redest du am liebsten über andere?
  • Deckst du deine Ängste mit Reden zu?

Oder gehörst du zu den Braven?

  • Bist du höflich? Lässt du lange, ermüdende Ergüsse über dich ergehen?
  • Oder traust du dich, Leute zu unterbrechen, und entschieden dazwischenzureden wenn sie Sprechdurchfall haben?
  • Traust du dich zu sagen: Ich möchte, dass du mir zuhörst!
  • Hörst du dir alle Geschichten über Krankheiten im Detail an?
  • Ist die Person, mit der du sprichst an deiner Meinung interessiert?
  • Oder fühlst du dich als Deponie, auf der sie ihre Anliegen platzieren kann, ohne ein Ohr für die deinen zu haben?
  • Wie viel Raum lässt du Jammerern?
  • Oder bist du es?

Kommunikation ist eine Art in Beziehung zu sein. In dem Moment, in dem du mit einer Person sprichst, bist du mit ihr in Beziehung und wenn es nur für einen Moment ist. Frage dich, wie du mit anderen in Beziehung sein möchtest und mit wem. Wenn ein „Braver“ plötzlich die Wahrheit sagt und nicht mehr „zur Verfügung steht“, indem er ehrliche Ansprüche an einen gleichberechtigten Austausch stellt, kann eine Beziehung auf ein völlig neues Niveau gehoben werden (oder zu Ende sein). Desgleichen wenn man den anderen mehr Mitteilungsraum gibt und offener für ihre Anliegen ist. Es kommt nicht so darauf an, was gesprochen wird. Es kommt darauf an, wie authentisch und zugewandt man der anderen Person gegenüber ist, wie offen beide Partner dafür sind, einander zu sehen und nicht nur sich selbst.

Eine Übung für diese Woche könnte sein:

Beobachte dein Redeverhalten. Halte dich mehr zurück. Lass die anderen reden Bemerke den Druck, selbst etwas sagen zu müssen zurück. Höre zu. Freue dich, auf das was du von den Menschen erfährst, und auf das, was du von ihnen lernen kannst. Etc.

Die Mutprobe für die bisher „braven“ Zuhörer könnte sein:

Unterbrich Leute, wenn sie monologisieren. Wenn sie dann lauter reden, um am Ball bleiben zu können, werde auch lauter, aber höre nicht auf zu sprechen. Sprich mehr von dir. Verbiete, dass man mit dir über Krankheiten spricht. Weise chronische Jammerer darauf hin, dass sie es tun und dass du es nicht hören möchtest etc. Lehne es ab über Alterserscheinungen zu palavern. Etc.

Viel Freude bei all dem.

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